Tonglen und Selbstmitgefühl: Der Weg zu innerer Stärke im tibetischen Buddhismus
Mitgefühl (Karuna) ist eine der stärksten Kräfte im Universum und im menschlichen Miteinander. Es verbindet uns mit anderen, spendet Trost in schwierigen Zeiten und hilft uns, über unsere begrenzte Vorstellung von uns selbst hinauszuwachsen. Doch bevor wir wirklich präsent und mitfühlend für andere da sein können, müssen wir diese Fähigkeit zunächst in uns selbst entwickeln. Nur ein Herz, das sich selbst mit Liebe (Maitri) begegnet, kann auch andere so akzeptieren, wie sie sind. Wir können lernen, uns mit all unseren Schatten, unserer Ablehnung sowie unseren Ängsten, unserer Wut und unserer Trauer anzufreunden und all diese Gefühle bewusst zu erleben, ohne sie auszuagieren oder uns Geschichten dazu zu erzählen. Tun wir das nicht, erschöpfen wir uns, weil wir ständig gegen unsere eigene Energie ankämpfen. Diese Erschöpfung kann ein Hinweis darauf sein, dass wir eines der wichtigsten Prinzipien des Mitgefühls vernachlässigen: Um wirklich für andere da sein zu können, müssen wir zuerst für uns selbst sorgen. Dabei können uns die Weisheit des tibetischen Buddhismus und die Praxis des Tonglen und Selbstmitgefühl helfen, die tief in den Lehren des Lojong, der tibetischen Herzens- und Geistesschulung, verwurzelt sind.
Lojong und Tonglen: Der Pfad der Transformation
Lojong und Tonglen sind mächtige Werkzeuge des tibetischen Buddhismus, die uns lehren, wie wir das Dunkle und Herausfordernde in unserem Leben nutzen können, um auf unserem ureigenen Weg für uns selbst und andere wirklich präsent, mitfühlend und standhaft zu sein – in echter Verbundenheit. Die Schwierigkeiten werden zum Pfad!
Lojong arbeitet mit einer Reihe von Versen und Leitsätzen, die uns lehren, wie wir unser Denken, Fühlen und Handeln mit Mitgefühl, Furchtlosigkeit und Weisheit gestalten. Die zentrale Botschaft von Lojong ist, dass wir unsere negativen Gedanken und Emotionen nicht als Hindernisse, sondern als wertvolle Lehrer betrachten können, um wahrhaftig unser Herz zu öffnen. Durch das Training unseres Herzens und unseres Geistes lernen wir, die Herausforderungen des Lebens nicht nur zu akzeptieren, sondern sie als Gelegenheit zur persönlichen Transformation zu nutzen und somit auch für andere einen kostbaren Beitrag zu leisten – durch unser pures Sein.
Was ist Tonglen?
Tonglen, was so viel wie „Geben und Nehmen“ bedeutet, ist eine alte buddhistische Meditationstechnik. Sie ist integraler Bestandteil des Lojong und hilft uns unser Herz zu öffnen und Weisheit zu entwickeln. Das Ziel dieser Praxis ist die Kultivierung tiefen Mitgefühls – nicht nur für andere, sondern auch für uns selbst.
In der Meditation atmest Du bewusst Dunkles, Leid und Schwierigkeiten ein und nutzt sie als Brennstoff für dein erwachendes Herz. Beim Ausatmen schickst Du Licht, Leichtigkeit und Freude in die Welt. Du machst Dir bewusst, dass Du Dein Leiden und Deine schwierigen Emotionen mit allen Wesen teilst. Du atmest das Dunkle für Dich und für alle anderen ein. Dein Ausatmen flutet alles mit Licht und Leichtigkeit. Diese Praxis zeigt Dir, wie du deine eigenen Ängste und Schmerzen annehmen und in Mitgefühl und Liebe verwandeln kannst. Sie hilft Dir, Dich selbst und andere besser zu verstehen und schafft auf natürliche Weise tiefere, authentische Verbindungen.
Durch Tonglen kannst du erleben, wie sich die Herausforderungen des Lebens – Deine eigenen und die der anderen – in eine Quelle von Mitgefühl und innerer Stärke verwandeln. Es unterstützt Dich dabei, Dich nicht nur mit anderen zu verbinden, sondern auch Deine eigene Dunkelheit zu umarmen und sie in deinem Herzen zu transzendieren, wodurch Du Energie freisetzt.
Tonglen und Selbstmitgefühl als Basis für echtes Mitgefühl
Ein zentrales Prinzip von Tonglen ist, dass wahres Mitgefühl bei uns selbst beginnt. Wir können nicht aus einem leeren Gefäß schöpfen – das bedeutet, dass wir nur dann wirklich für andere da sein können, wenn wir auch unsere eigenen physischen und emotionalen Bedürfnisse ernst nehmen. Ansonsten werden wir leicht von den Emotionen und Glaubenssätzen anderer getriggert: Ihre Angst spiegelt unsere eigene wider, ihre Wut macht uns wütend, ihre Trauer verdeutlicht uns unsere eigene.
Durch die Tonglen-Praxis nutzen wir die universelle Erfahrung von inneren und äußeren Herausforderungen, um die wahre innere Stärke des sanftmütigen Kriegers zu entwickeln. Sie lehrt uns, mit unserem eigenen Schmerz in Kontakt zu treten, ihn zu akzeptieren und zu integrieren. In dieser mitfühlenden Akzeptanz finden wir die Kraft und das Mitgefühl, die wir brauchen, um auch anderen zur Seite zu stehen und einen wertvollen Beitrag für uns selbst, unsere Mitmenschen und die Welt zu leisten – durch unser pures Sein.
Lojong, Tonglen und Selbstmitgefühl in der therapeutischen Praxis
Das Konzept, dass Selbstfürsorge die Voraussetzung für das Helfen anderer ist, findet in modernen therapeutischen Ansätzen zunehmend Beachtung. Besonders in der Beratung und Therapie bieten Lojong und Tonglen kraftvolle Wege, um Klienten zu unterstützen, ihren eigenen Schmerz zu erkennen und zu transformieren. Auch in der therapeutischen oder beratenden Rolle können wir durch diese Methoden und tiefe eigene Erkenntnisprozesse einen mitfühlenderen, stärkeren und klareren Raum für unsere Klienten halten. Gerade in helfenden Berufen ist es entscheidend, sich selbst immer wieder zu stärken, nicht im Leiden anderer zu versinken und nicht durch den eigenen Schatten zu arbeiten. Alles, womit wir in Resonanz gehen, können wir zur Kultivierung unseres erwachten Herzens (Bodhicitta) nutzen.
Jeder Moment der Herausforderung wird zur Gelegenheit, sich von dualistischen Konzepten und daraus resultierenden negativen Emotionen zu befreien. Das Dunkle wird zum Pfad, Angst zum Wegweiser, um das Herz zu öffnen. Du lernst, dass selbst die schwierigsten Situationen Dir die Möglichkeit bieten, zu wachsen und anderen zu helfen.
Schwieriges atmen wir ein, im Bewusstsein, dass es alle fühlenden Wesen betrifft. Freudvolles atmen wir aus, weil wir wissen, dass wir alle den Wunsch nach Freude, Liebe und Glück teilen. Indem wir lernen, das Leiden anzunehmen statt es zu verdrängen, schaffen wir Raum für Heilung und Integration. Dieser Prozess aus der Lojong-Schulung hilft dabei, den Geist und das Herz zu trainieren, Schritt für Schritt mitfühlende Perspektiven einzunehmen und unseren Alltag als Training zu nutzen.
Podcast: Tonglen und Selbstmitgefühl
Training und Ausbildung in Tonglen und Lojong
Wenn Du Interesse daran hast, diese transformative Praxis in Dein Leben oder Deine Arbeit zu integrieren, bietet das Shendao Zentrum vielfältige Möglichkeiten dafür. Die zweijährige Ausbildung „Inner Path – Lojong & Tonglen in Therapie und Beratung“ eröffnet Dir den Zugang zur tiefen Weisheit des tibetischen Buddhismus und unterstützt Dich sowohl in Deiner persönlichen Entwicklung als auch in der Arbeit mit anderen Menschen. Hier geht es nicht nur um das Erlernen von Techniken, sondern um das Schaffen einer tiefen Verbindung zu Dir selbst und Deinen Mitmenschen und der Welt.
Darüber hinaus kannst Du in unserem fortlaufenden Bodhi-Training wöchentlich Deine Lojong- und Tonglen-Praxis vertiefen, regelmäßig üben und so nachhaltig in Deinen Alltag integrieren.
Für eine individuellere Begleitung steht Dir unser Mentoring-Programm „Herzens(r)evolution“ zur Verfügung. Melde Dich gerne zu einem unverbindlichen Vorgespräch und wir finden gemeinsam heraus, ob dieses Programm der passende Weg für Dich ist.
Fazit
Mitgefühl ist eine unschätzbare Gabe, doch oft vergessen wir, dass es in uns selbst seinen Ursprung hat. Die tibetisch-buddhistische Praxis des Tonglen, tief verwurzelt im Lojong, lehrt uns, sowohl unser eigenes Leiden als auch das anderer mit offenen Armen zu empfangen und zu transformieren. Nur wenn wir uns selbst mit all unseren Emotionen und Herausforderungen annehmen, können wir authentisch für andere da sein.
Wenn Du bereit bist, Mitgefühl auf einer tieferen Ebene zu erfahren und Tonglen in Deinen Alltag oder in Deine Arbeit zu integrieren, könnte ein Training am Shendao Zentrum der erste Schritt auf dieser Reise sein. Mit Tonglen findest Du die Balance zwischen Selbstfürsorge und Mitgefühl für andere – eine Lektion von unschätzbarem Wert, gerade in Zeiten von Unsicherheit und Wandel.
Mit jedem Schritt auf diesem Weg wächst nicht nur Deine innere Stärke, sondern auch Deine Fähigkeit, Frieden und Verbundenheit in die Welt zu tragen. Lass Dich inspirieren, diesen Weg zu gehen – mit einem offenen Herzen, einem friedvollen und klaren Geist und der Bereitschaft, Dir selbst und anderen mit Liebe und Mitgefühl zu begegnen.