Zeichnung von Lei Zhang


„Das Herz selbst kann nicht erkranken.“

Ling Shu – Kap. 71

Der ursprüngliche Geist oder das unsterbliche Herz

Das, was Du wirklich bist, ist der ursprüngliche Geist (Yuan Shen 元神), der alles ermöglicht, aber nichts braucht, um zu sein. Der ursprüngliche Geist ist im Herzen zuhause. Das Herz kann nicht erkranken, weil es rein geistiger Natur ist. Dabei geht es nicht um das stoffliche Organ, sondern um dessen Essenz, seinen Kern. Dies zeigt sich auch in den chinesischen Schriftzeichen, weil die antiken Wissenschaften Chinas alle samt Symbolwissenschaften sind. Das Herz ist xīn . Dieses Schriftzeichen verzichtet auf den Hinweis, dass es sich hier um etwas Stoffliches oder Materielles handelt wie bei den anderen menschlichen Organen, die alle mit dem Radikal für den Mond als Zeichen des Yin geschrieben werden. Deswegen ist das Herz unsterblich, kann nicht erkranken und ist die Heimat des ursprünglichen Geistes. Dieser ruht jenseits der Polaritäten von Yin und Yang, Himmel und Erde sowie falsch und richtig.

„Die Menschen, die im Altertum das Dao verwirklichten, erreichten einen Zustand, in dem es kein Richtig und Falsch gab, das ist alles.“
Zhuangzi 33/4

Anders ausgedrückt ist der Mensch nur im Herzen oder mit dem Herzen wirklich Mensch. Paracelsus soll gesagt haben, dass die beste Arznei für den Menschen der Mensch selbst sei und der höchste Grad dieser Arznei sei die Liebe. In der chinesischen Tradition ist solch ein Mensch ein Shen Yi (神医), ein geistiger Arzt, der die Qualitäten des Herz-Geistes lebt und zum Ausdruck bringt. Es ist eben nicht der Arzt mit den besten Methoden, Verfahren und dem meisten Wissen, obwohl all das von großer Bedeutung ist, bleibt es stets sekundär. Der beste Arzt und die beste Arznei ist der Herz-Geist, die Liebe, die den vermeintlich Anderen im Herzen berührt.

Himmel-Menschen-Erde

„Wenn auf Erden alle das Schöne als schön erkennen,
so ist dadurch schon das Häßliche gesetzt.
Wenn auf Erden alle das Gute als gut erkennen,
so ist dadurch schon das Nichtgute gesetzt.“
Laozi – Dao De Jing Kap. 2

Die Welle ist das Meer

Neben dem ursprünglichen Geist im Herzen (Yuan Shen 元神), das nicht identifizierte Bewusstsein, das Du bist, gibt es noch, den identifizierten oder kleinen Geist (Shen ). Dieser ist von Ängsten und Begierden beeinflusst und besteht aus Konzepten, Ideen, Glaubenssätzen, Geschichten und der Anhaftung an Emotionen und einem Selbstgefühl.
Der kleine Geist richtet die Aufmerksamkeit exklusiv auf Objekte im Bewusstsein, wie Gedanken, Gefühle, Empfindungen, Erinnerungen und Bilder. Der Herz-Geist ist das Bewusstsein, das jedes Objekt ermöglicht, aber keines braucht, um zu sein. Der Herz-Geist ist das Meer. Der kleine Geist glaubt, eine einzige Welle zu sein und diese Welle ist die Geschichte, die Deinen Namen trägt.

Die Welle ist das Meer

„Wissen, daß man nichts weiß, ist das Höchste.
Nichtwissen für Wissen achten, ist Leiden.
Nur wer an seinem Leiden leidet,
wird frei von Leiden.“
Laozi – Dao De Jing Kap. 71

Diese kleine Welle, der kleine Geist, die Geschichte die Deinen Namen trägt, besteht aus genau diesem Nichtwissen, das Du für Wissen hältst. Das Bewusstsein identifiziert sich mit den Inhalten oder Objekten im Geist anstatt mit dem Geist selbst. Der kleine Geist sucht sich selbst in dem, was sich wandelt und verändert, anstatt in dem, was jeden Wandel und jede Veränderung ermöglicht. Da sind Ängste und Begierden beinahe unvermeidlich, weil nichts beständig ist außer der Wandel selbst.

Die Natur des Geistes

Es erscheint uns so schwierig, einfach zu sein, was wir sind, eben weil es so natürlich ist. In den tibetischen Lehren werden vier Hindernisse beschrieben die Natur des Geistes zu erkennen:

  1. Nähe: Das, was Du wirklich bist, ist zu nah. Das Auge sieht sich selbst nicht.

  2. Tiefe: Die Tiefe dessen, was Du bist, ist unermesslich.

  3. Einfachheit: Es ist viel einfacher, als Du denkst.

  4. Wundervoll: Die Schönheit dessen, was Du wirklich bist, ist für den Verstand nicht zu erfassen.

In der chinesischen Medizin, in der inneren Arbeit (Nei Gong 內功) und den antiken chinesischen Wissenschaften geht es jedoch nicht so sehr um das Sichtbare oder scheinbar Materielle, es geht um das Unsichtbare und scheinbar Immaterielle. Denn letztendlich gibt es nichts anderes.
Alles, was Du über den Körper und die vermeintlich solide Welt weißt, besteht aus Empfindungen und mentalen Konstrukten. Spüre den Körper, den Untergrund auf dem er sitzt, liegt oder steht. All das sind immaterielle Empfindungen verknüpft mit Konzepten, Geschichten und Glaubenssystemen. All das sind einfach Bewusstseinsinhalte oder Objekte im Bewusstsein. Nichts davon könnte jemals außerhalb des Bewusstseins liegen. Es ist nicht so, dass Du in der Welt bist, sondern die Welt ist in Dir. Um so stärker die Identifikation des kleinen Geistes mit den Objekten und somit seine mentatl-emotionale Fixierung ist, desto solider erscheint die Welt.

„Die Welt ist ein geistiges Ding (Shenqi),
auf dies kann man nicht willentlich einwirken.
Greift man willentlich ein, so verdirbt man sie.“
Laozi – Dao De Jing Kapitel 29

Die Matrix ist aus Angst gemacht

Das willentliche Eingreifen ist Ausdruck des von Ängsten und Begierden motivierten kleinen Geistes. Da jedes Handeln, das von Angst oder Begierde ausgeht, die Identifikation verstärkt, wird die Welt verdorben oder anders ausgedrückt, Du verlierst Dich immer tiefer in der Matrix.

“Das ist Deine letzte Chance. Danach gibt es kein zurück. Schluckst Du die blaue Pille – die Geschichte endet, Du wachst in Deinem Bett auf und glaubst, was auch immer Du glauben willst. Schluckst Du die rote Pille – Du bleibst hier im Wunderland und ich führe Dich in die tiefsten Tiefen des Kaninchenbaus.”
Morpheus zu Neo im Film „Matrix“

Die rote Pille zu schlucken, bedeutet Dein Herz zu erwecken. Dein Herz zu erwecken bedeutet zu erkennen, dass die Matrix, die Welt in der Du bisher gelebt hast, einzig und allein auf einem irrtümlich angenommen Referenzpunkt Deiner Wahrnehmung beruht. Dieser Referenzpunkt heißt „Ich“ und ist eine Konditionierung. Im Film nennt Morpheus die Matrix „ein Gefängnis für den Verstand“. Dem gibt es nichts hinzuzufügen. Zu erkennen, dass das Ich nicht so solide und echt ist, wie es erscheint, setzt den Mut voraus, sich all seinen Ängsten und daraus resultierenden Begierden zu stellen. Denn die Matrix ist aus Angst gemacht.
Die Angst wird in der chinesischen Medizin den Nieren zugeordnet, welche als die Wurzel für Yin und Yang angesehen werden. Außerdem ist die in den Nieren gespeicherte Essenz die Basis, in der sich der Geist (Shen ) verwurzelt. Das bedeutet, dass sich der Geist entweder mit Angst identifiziert oder in Furchtlosigkeit verweilt. Diese Beziehung erschafft die Welt, das Yin und das Yang.
Die gute Nachricht ist, dass im Gegensatz zum Film, das Erkennen der Matrix nicht mit dem Aufwachen in einem Albtraum verbunden ist, sondern mit dem genauen Gegenteil.

Die Matrix ist aus Angst gemacht

„Wenn Yin und Yang nicht zu ermessen sind, dann spricht man von Geist. Wenn der Einsatz des Geistes keiner Richtlinie folgt, dann spricht man von Weisheit.“
Huang Di Nei Jing – Kap. 66

Die Weisheit, die Du bist

Der Herz-Geist ruht jenseits dieser Polaritäten und das ist Deine naturgegebene innere Weisheit. Umso mehr es Dir gelingt, als diese Weisheit zu verweilen, desto mehr bist Du des Menschen beste Medizin. Das, was Du bist, wird bedeutender als das, was Du tust oder glaubst zu sein. Das ist Wuwei 無為, das Nicht-Eingreifen. Das bedeutet nicht, dass Du nichts mehr tust, sondern, dass alles Tun natürlich aus Deinem Sein entspringt und nicht mehr von Angst oder Begierde motiviert ist. Das ist das Ende des Aktionismus und der Anfang von echtem Wirken in der Welt. Das alles fängt stets bei uns selbst an und wie ein Leuchtturm strahlt es aus auf unsere Umgebung und unsere Mitmenschen. Und da jede Welle auf dem einen Meer erscheint, schließt sich hier der Kreis…

„Möge ich mich des Glücks und der Wurzel des Glücks erfreuen.
Mögest Du Dich des Glücks und der Wurzel des Glücks erfreuen.
Mögen alle Wesen sich des Glücks und der Wurzel des Glücks erfreuen.“
Dreistufiges Wunschgebet (Mönlam) nach Pema Chödrön

Wenn Du mit mir tiefer gehen willst

Wenn Du Dich angesprochen fühlst und den Mut hast, die Matrix zu erforschen und Deinen Herz-Geist in die Welt zu tragen, um die beste Medizin für unsere Mitmenschen und Mutter Erde zu sein, freue ich mich, mit Dir bei einem unserer Trainings gemeinsam tiefer zu gehen.

Zurückkehren zum Ursprung
Dieses Training stellt die Erforschung der Ich-Identifikation und die Kultivierung der Herz-Energie in den Mittelpunkt und ist zum größten Teil in der daoistischen Lehre und in den antiken chinesischen Wissenschaften verwurzelt. Im fortschreitenden Training gibt es auch tibetische Einflüsse.

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